Neulich beim Scrollen
In letzter Zeit verbringe ich immer wieder gerne mal ein halbes Stündchen damit, auf tvtropes.org (Achtung, Englisch) die unterschiedlichsten Tropes durchzulesen und nachzuschauen, woher ich welche Tropes wohl schon kennen könnte. Für diejenigen die es nicht kennen: TV Tropes ist ein Wiki für Motive und erzählerische Griffe (die namensgebenden Tropes) aus verschiedenen Medienformen. Das ganze kann eine ganz schöne Sogwirkung entfalten, die halbe Stunde wird gerne auch mal zur Stunde oder dem ganzen Abend.
Beim Schmökern zu Tropes wie diesem hier bin ich dabei immer wieder über die Harry Dresden Bücher gestolpert. Im englischen Original als „The Dresden Files“ bezeichnet, wird die Reihe auf tvtropes.org als „An Urban Fantasy/mystery series of novels“ beschrieben.
Ich bin zwar durchaus erfahren was die Literatur von Fantasyromanen angeht, aber was Urban Fantasy sein soll, hat sich mir auf den ersten Blick nicht erschlossen. Zwei Klicks später bin ich schon schlauer: Damit wird, laut tvtropes.org, die Vermischung von klassischen Fantasythemen mit solchen der Moderne beschrieben. Wie so oft bei Genrebezeichnungen ist eine belastbarere Quellenangabe als die genannte oder gar eine Definition nicht machbar, nagelt mich also bitte nicht zu sehr darauf fest.
Nach der Lektüre des ersten Buches mit dem deutschen Namen „Sturmnacht“ finde ich die Bezeichnung „Urban Fantasy“ recht passend. Harry Blackstone Copperfield Dresden, so der volle Name des Protagonisten, lebt und wirkt in einem fiktiven Chicago. Seine Brötchen verdient sich der Mann mit dem sperrigen Namen als Magier, der einzige der im Telefonbuch zu finden ist. Daraus ergeben sich natürlich die üblichen Probleme, wenn Übernatürliches auf den Alltag trifft. Die Normalos halten ihn für einen Scharlatan, die anderen Eingeweihten in die Maskerade des Übernatürlichen sind misstrauisch weil er ihr Geheimnis in Gefahr bringen könnte.
Dadurch bedingt, beginnt Harry das Buch mit einer chronischen Auftragsknappheit. Recht schnell trudeln aber sowohl ein Auftrag von einer nervösen, attraktiven Frau, als auch einer genervten, attraktiven Polizistin ein. An der Formulierung merkt man vielleicht: Es lohnt sich an dieser Stelle auf die Frauenfiguren einzugehen. Das Buch wird aus der Ich-Perspektive von Harry erzählt und so wird auch seine Sicht auf die Frauen beschrieben. Er ist bei den Frauen unerfahren und ich vermute aus diesem Grund findet er jede Frau der er begegnet attraktiv und seine Gedanken schwanken immer wieder zu Details ihres Äußeren oder Auftritts. Ob es die verzweifelte Ehefrau, die ehrgeizige Reporterin oder auch die ermordete Prostituierte ist, Harry hat zu jeder eine Analyse parat. Das passt zu seinem unerfahrenem Charakter, es wurde auf die Dauer allerdings etwas ermüdend.
Aber zurück zu den Aufträgen: Für die Ehefrau soll er Ihrem verschwundenen Mann nachforschen, für die Polizistin einen rätselhaften und brutalen Mord untersuchen. Daraufhin entspinnt sich eine Handlung, die der Autor gut nutzt um die Welt von Harry Dresden auszubauen und zu erklären. Die Erklärungen fühlen sich nicht wie übertriebene Exposition an, sondern immer wie notwendige Informationen im Rahmen der aktuellen Handlung. Die anderen übernatürlichen Akteure sind oft althergebrachte Motive, die mit Dingen der Moderne gemischt werden (Urban Fantasy!). Beispielsweise gibt es einen kleinen neugierigen Elf der mit Essen gelockt werden kann und dadurch mittlerweile pizzasüchtig ist.
Was die weiteren Figuren angeht, so mangelt es nicht an Gangsterbossen, mysteriösen und mächtigen Gestalten aus der magischen Halbwelt sowie dem obligatorischen Sidekick des Protagonisten. In diesem Fall ist das ein magischer Schädel, der von Bob, einem Geist, bewohnt wird und Harry immer wieder dazu bringen will, ihn aus dem Schädel zu entlassen. Gleichzeitig dient er als eine Art magisches Lexikon, dass für Harry ein wichtige Ressource darstellt.
Apropos Magie: Das Magiesystem wird angenehm wenig erklärt, was mir immer gut gefällt, da es so noch Raum für Fragen und Mysterien gibt. Ausführlich erklärte Magiesysteme mögen etwas schönes sein, wenn man ein Regelwerk für ein Spiel o.ä. damit schaffen will. Es verringert für mich aber den Reiz an einer Welt und deren Möglichkeiten, weil zu viele Regeln und Beschränkungen in dieser Welt klar sind. In diesem Fall führt das kaum erklärte Systems dazu, dass Harry in einem Moment der geprügelte Hund ist, der mit Baseballschlägern vermöbelt oder von Dämonen gejagt wird, in anderen Momenten aber ordentlich die Sau rauslassen darf und einem beides beim Lesen nicht unglaubwürdig vorkommt.
Der Tonfall des Romans ist, der durchaus abgedrehten Thematik angemessen, ironisch und sowohl das Buch als auch die Hauptfigur nehmen sich nicht immer zu ernst. Immer wieder musste ich über einzelne Stellen schmunzeln, wobei der Humor immer akzentuiert genug bleibt um die Handlung nicht ins Lächerliche zu ziehen.
Allgemein war ich nach der Lektüre nicht der Meinung, hier ein modernes Meisterwerk nachgeholt zu haben. Aber es war definitiv unterhaltsam genug um dem nächsten Teil eine Chance zu geben und zu sehen, was Chicago noch für Harry bereithält!